tagesthemen mittendrin: Das Leiden der Sexarbeiterinnen
Stand: 28.08.2020 09:59 Uhr
Corona-Hygienekonzepte liegen zwar vor, aber Hamburgs Bordelle müssen noch bis mindestens Ende des Jahres geschlossen bleiben. Die Behörden drängen damit Sexarbeiterinnen in eine dramatische Situation.
Von Angela Ulmrich, NDR
Laura verkauft ihren Körper in der bekannten Hamburger Herbertstraße. Sie zählt zu den mehr als 30.000 legalen Prostituierten in Deutschland. Im Gegensatz zu Zwangsarbeiterinnen, die oft auf dem Straßenstrich tätig sind und häufig keine deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, ist sie gemäß des Prostituiertenschutzgesetzes gemeldet und zahlt Steuern.
Die vergangenen Monate waren hart für die 25-Jährige, denn das Bordell, in dem sie sich normalerweise mit ihren Freiern trifft, musste Mitte März schließen. Zu groß sei die Ansteckungsgefahr während der Pandemie, befand der Senat. Deshalb ist Laura derzeit arbeitslos.
Von Staat und Gesellschaft alleingelassen
Sie bezieht Hartz IV, muss wieder von ihren Eltern unterstützt werden. Rücklagen hat sie keine, einen Kredit bei einer Bank bekommt sie nicht. Dass die Politik noch immer keinen Weg gefunden hat, Prostitution in Zeiten von Corona zu ermöglichen, etwa unter Hygieneauflagen, macht sie sprachlos. Sie ist wütend, traurig und fühlt sich vom Staat und der Gesellschafft alleingelassen, diskriminiert.
Manche ihrer Kolleginnen, die vor der Corona-Pandemie ebenfalls legal tätig waren, bieten Sex-Dienste inzwischen rechtswidrig an. Etwa über Internetplattformen, auf denen sie sich mit Kunden vernetzen, die sie anschließend an einem vereinbarten Ort oder bei sich zu Hause treffen. Die Illegalität ist für Laura keine Option. Sie setzt sich für reglementierte Prostitution ein, denn nur diese könne ihr Schutz bieten: vor Corona, vor Geschlechtskrankheiten, aber auch vor sexuellen Übergriffen.
Hygienekonzept fürs Bordell
Um auf die prekäre Situation der Branche hinzuweisen, haben Hamburger Prostituierte sowie Betreiber und Betreiberinnen die Initiative "Sexy Aufstand Reeperbahn" gegründet. Neben medienwirksamen Protesten auf der Herbertstraße und einem "Tag der offenen Tür" in sonst eher abgeschotteten Bordellen hat die Aktionsgruppe auch ein Hygienekonzept entwickelt.
Demnach müssten Kunden am Empfang des Laufhauses die Hände desinfizieren, einen Mund-Nasen-Schutz aufsetzen und anschließend ihre persönlichen Daten in ein Online-Formular eintragen. Um die Angaben auf ihre Richtigkeit überprüfen zu können, müssten zusätzlich der Personalausweis, Führerschein oder die Bankkarte vorgezeigt werden - damit es im Falle einer Infektion möglich ist, die Kontaktpersonen korrekt zurückzuverfolgen. Die Zimmer dürften nun nur noch von einer Frau genutzt und nicht gewechselt werden.
Weiter heißt es in dem Konzept, dass nur noch Stellungen erlaubt seien, bei denen die Frau mit dem Rücken zum Gast positioniert ist. Die Maske müsse beim Sex angezogen bleiben, nur beim Oralverkehr dürfe sie abgelegt werden. Außerdem sollten die Zimmer stets gelüftet und Bettlaken und Handtücher nach dem Geschlechtsverkehr sofort bei 60 Grad gewaschen werden.
Hamburg besteht auf Verbot
Trotz der intensiven Bestrebungen von "Sexy Aufstand Reeperbahn" bleibt Sexarbeit in der Hansestadt weiter verboten. "Prostitution ist ein Ort, an dem es womöglich zu einer unkontrollierten Ausbreitung kommt. Zum Beispiel gerade dann, wenn wir Kontakte nicht nachvollziehen können. Wir müssen davon ausgehen, dass Daten, die im Bereich von Prostitutionsangeboten hinterlassen werden, nicht zu 100 Prozent akkurat sind", so Martin Helfrich, Sprecher der Hamburger Sozialbehörde.
Sexarbeiterinnen wie Laura können das nicht nachvollziehen. Schließlich sei die Gesundheit ihr Kapital, die Frauen seien besonders verantwortungsbewusst. Das würden sie gerne in Zeiten von Corona unter Beweis stellen - und damit ihre Existenz retten, die gerade in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden droht.
Über dieses Thema berichten die Tagesthemen heute Abend um 21.45 Uhr.